Zur Geschichte des Lokschuppens

von Howard Westoll

Die künftige Bedeutung Treysas als Eisenbahnknotenpunkt war beim Bau der Bahnstrecke Frankfurt – Gießen – Kassel („Main-Weser-Bahn“) in den Jahren von 1846 bis 1852 noch nicht absehbar. Das Landstädtchen erhielt lediglich einen „normalen“ Bahnhof, der relativ weit vor der Stadt lag, um auch für Ziegenhain gut erreichbar zu sein. Das noch heute bestehende klassizistische Empfangsgebäude wurde 1847/48 nach Entwürfen des bekannten Kasseler Architekten Julius Eugen Ruhl in Backsteinsichtmauerwerk errichtet.

Die von Anfang an zweigleisig trassierte Strecke erhielt ab 1865 ihr zweites Gleis. Über die weiteren Gleisanlagen des alten Bahnhofes ist nur wenig bekannt.

Die Bedeutung des Treysaer Bahnhofes wuchs erst mit dem Bau der sogenannten Kanonenbahn (hier der Abschnitt Leinefelde – Treysa) ab 1874. Aus topographischen Gründen konnte die neue Strecke nicht direkt in die vorhandenen Gleisanlagen des Bahnhofes eingeführt werden. Die Verknüpfung mit der „Main-Weser-Bahn“ erfolgte etwas außerhalb südlich des Bahnhofes, was beim Übergang von Zügen aus bzw. in Richtung Kassel zu aufwendigen Rangiermanövern zwang.

Hatte schon diese Maßnahme in dem dafür nicht ausgelegten Bahnhof zu einer betrieblich unbefriedigenden Lösung geführt, war die Einbindung einer weiteren seit 1902 im Bau befindlichen Strecke aus Richtung Bad Hersfeld bei den bestehenden Verhältnissen unmöglich. Daher entschloß man sich zu einer Verlegung des Treysaer Bahnhofes.

Südlich der Altstadt wurde der bestehende Geländeeinschnitt erweitert und das Gelände des heutigen Güterbahnhofes planiert. Die Kanonenbahn verlängerte man in südliche Richtung parallel zur Hauptbahn und führte sie gemeinsam mit der neuen Strecke aus Bad Hersfeld in den neuen stadtnah gelegenen Personenbahnhof ein, der am 1. Oktober 1908 dem Verkehr übergeben wurde. Als neues Empfangsgebäude entstand ein ansprechender Neubau nach einem Entwurf von Alois Holtmeyer.

Zeitgleich mit dem neuen Bahnhof entstanden am Südrand des Güterbahnhofes die Anlagen des Bahnbetriebswerkes (BW). Hier konnten die Dampflokomotiven ihre Betriebsstoffe (Kohle, Wasser und Schmiermittel) ergänzen und Verbrennungsrückstände entfernen. Außerdem wurden neben der planmäßigen Wartung und Instandhaltung kleinere und mittlere Reparaturen in der angeschlossenen Werkstatt ausgeführt.

Kernstück dieser Anlage ist der 18-ständige Ringlokschuppen aus roten Klinkern mit seiner Drehscheibe. Sie ermöglicht sowohl das Wenden einer Lokomotive, als auch das Befahren der radial angeordneten Abstellgleise des Schuppens.

In seiner Bauform stellt der Treysaer Lokschuppen beinahe ein Einzelstück dar. Abweichend vom üblichen Schema mit direkt anschließendem Satteldach, sind hier über den Einfahrtstoren jeweils zwei gekuppelte Fenster als Oberlicht angeordnet, die viel Licht ins Schuppeninnere einlassen. Die hoch aufragende Fassade in Sichtmauerwerk wird durch massive Strebepfeiler stabilisiert, die gleichzeitig eine Gliederung der einzelnen Schuppensegmente bewirken. Das flachgeneigte Pultdach fällt von vorne unsichtbar nach hinten ab.

Einzig der leider nicht mehr existierende Lokschuppen in Gemünden/Wohra wies eine sehr ähnliche Architektur auf, allerdings in wesentlich bescheideneren Dimensionen.

Abgesehen vom Austausch der ursprünglich 16m langen Drehscheibe gegen eine 23m–Scheibe in den 1920er Jahren, blieb der Treysaer Lokschuppen jahrzehntelang fast unverändert.

Als Anfang der 1960er Jahre das alte baufällige aus Holz und Teerpappe bestehende Schuppendach erneuert werden musste, war bereits abzusehen, dass die Lokbeheimatung in Treysa mittelfristig aufgegeben  werden würde. Da die meisten Schuppengleise für die neueren Lokomotivbauarten ohnehin zu kurz waren, und die Schuppentore in den letzten Jahren deshalb nicht mehr geschlossen werden konnten, entschloß man sich, nur einen Teil des Daches zu erneuern. Es wurde hierfür die sechs Stände im Bereich der Werkstatt mit den fünf 23m langen Gleisen gewählt, da man hier die Lokomotiven vollständig in das Gebäude fahren konnte.

Das neue Dach wurde als Stahlrohrkonstruktion errichtet und erhielt eine Deckung aus Eternitplatten. Da die neue Dachneigung etwas flacher als die alte war, mussten am Mauerwerk kleinere Anpassungsarbeiten vorgenommen werden.

Die restlichen 12 Schuppengleise blieben ohne Dach und prägten jahrelang das typische Erscheinungsbild des Treysaer Lokschuppens.  Es handelte sich hier also nicht, wie häufig angenommen, um einen Kriegsschaden.

Das ungeschützte Mauerwerk wurde unter dem Einfluß der Witterung rasch baufällig und ist nach und nach abgebrochen worden. Das geschah z.T. recht spektakulär unter Verwendung einer Dampflok, die mit einem Drahtseil am Kupplungshaken die Mauerteile umriß. Die nun vollkommen im Freien liegenden Schuppengleise blieben nach Beseitigung des Schutts weiterhin benutzbar.

Im Zuge der Elekrifizierung der Main-Weser-Bahn wurden nach 1967 die in Treysa verbliebenen Dampflokomotiven überflüssig und an andere Betriebswerke abgegeben. In der nunmehrigen Außenstelle des BW Marburg blieben weiterhin einige Diesellokomotiven und Schienenbusse für den Rangierdienst und Nebenbahnbetrieb stationiert. Mit dem Rückzug der Bundesbahn aus der Fläche wurden diese Einsätze mit der Zeit immer weniger. Ab 1983 war das BW Treysa faktisch aufgegeben und verfiel mangels geeigneter Nutzung zusehends.

Seit 1989 ist der Verein „Eisenbahnfreunde Schwalm-Knüll e.V.“ (seit 2008 „Eisenbahnfreunde Treysa e.V.“) Mieter des Geländes mitsamt Schuppen, Drehscheibe und Kantinengebäude. Der Lokschuppen wird wieder zur Unterbringung und Instandsetzung von historischen Schienenfahrzeugen genutzt.

Dieses Zeugnis der Technik- und Verkehrsgeschichte Hessens ist im Gegensatz zu den Empfangsgebäuden des alten und des neuen Bahnhofes, der sog. „Mainzer Brücke“, und anderen bahnspezifischen Baudenkmälern nicht in der hessischen Denkmaltopographie verzeichnet!

Nacht-Impressionen

Anfang Januar 2019 fotografierte unser Vereinsmitglied Luc Smok in unseren Bahnbetriebswerk nachts mit Langzeitbelichtung.


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